Sitzplatzzuschauer ist nicht gleich Sitzplatzzuschauer.
Bild Charles Ellena
Ich werde oft gefragt, wie ich zu meinen tollen Sitzplätzen in der Mitte des Stadions gekommen bin. Ich antworte jeweils, ich sei schon damals (und noch viel früher) in der Patinoire gewesen, als Gottéron an Dienstagabenden vor 2900 Zuschauern bei Minustemperaturen selbst gegen Rappi oder Langnau nach zwei Dritteln mit 0:4 hinten lag. Vier Tore Rückstand waren dann aber oft meine persönliche Schmerzgrenze. Während dann das letzte Drittel lief, befand ich mich schon in meinem Lieblings-Kebabladen oder im Zelt vor der Halle, wo ich mit jenen diskutieren konnte, die das aktuelle Spiel ebenfalls bereits aufgegeben hatten. Heute bin ich natürlich heilfroh, dass ich Gottéron treu geblieben bin.
Denn dadurch sind meine Sitzplatznachbarn kompetente und langjährige Hockeyfans- und kenner, in meinem Sektor, wo sich die alteingesessenen Fans befinden, wittern die Leute nicht gleich nach jedem gegen Gotteron gerichteten Schiri-Entscheid eine Verschwörung. Wenn ich mir das Benehmen der ersten paar Reihen im Sitzplatz-Sektor oberhalb der Gästemannschaft anschaue, dann schäme ich mich manchmal ein bisschen als Freiburger. Doch zurück zu meinem Platz. Man hört die Spieler sprechen, der Schiri zeigt vor uns die Strafen an, ich kann dem Goalie gar in die Augen sehen, ich habe oft das Gefühl, ich hätte den Mittelplatz auf dem Centre Court. Wäre da nicht, aha, jetzt kommts doch noch, die geladenen Gäste. Rechts oberhalb von mir sitzen oft die Gäste der gegnerischen Mannschaft. Doch eigentlich wissen sich diese meist sehr gut zu benehmen, da gibt es nichts auszusetzen. Ausser höchstens ein gewisser Herr Lüthi, einem wichtigen Mann von einem benachbarten Klub, der einmal den Schiedsrichtern während eines Unterbruches von der vierten Reihe aus Kaugummis anbot und hinunter warf. Wenn ich jetzt noch erwähne wann das war, werde Sie es mir gar nicht glauben. Die Szene ereignete sich beim ersten Playoff-Heimspiel 2008 gegen Bern, als Berns Goalie Marco Bührer kurz vor Schluss das Tor verschob und der Treffer deshalb nicht zählte – statdessen erhielt Gottéron „nur“ einen Penalty zugesprochen. Mit meinen eigenen Augen gesehen, ich schwörs!
Beschweren kann ich mich hingegen über die Reihe oberhalb von mir. Manchmal wird es zwar sehr amüsant, so beispielsweise wenn ein Newbie ganz verwundert schreit, wenn einer der beiden Goalies schnell hinausläuft, um bei einer angezeigten Strafe einem sechsten Feldspieler Platz zu machen. Aber es gibt sehr viele Kehrseiten. Die schlimmsten Zuschauer sind jene, die glauben, sie dürfen von ihrem Platz aus das ganze Spiel leiten und kommentieren: „Gib den Pass! Schiess! Check ihn! C’est bien mon Loulou!“. Oder aber beim ersten Fehlpass den Profistatus eines Spielers in Frage stellen. Wenn Gottéron führt, akzeptieren unsere Reihen dies, wenn Gottéron hinten liegt, gibt es ziemlich schnell die ersten ganz bösen Blicke nach hinten. Des weiteren gibt es jene, die sobald Gottéron über die rote Linie kommt, schon eine Riesenchance wittern und sich gänzlich vergessen, die weibliche Version davon kreischt, sobald Sprunger oder Bykow mit dem Puck über die Mittellinie fahren. Dann gibt es die Treter – Gottéron versiebt eine Chance oder kriegt gar ein Gegentor, und als nächstes gibt es einen Riesentritt in den Rücken. Unsere Reihe ist von derjenigen oberhalb nur durch ein unten offenes Gitter getrennt, und nicht durch den sonst üblichen roten Holzbalken. Natürlich entschuldigen sich dann die Gäste sofort, das Problem ist, beim nächsten Spiel werden es andere geladene Gäste sein, und auch die werden wieder ihren ersten Tritt in Richtung meiner Rückseite stampfen. Dank meiner Contenance habe ich es bis heute geschafft, niemanden über die Barriere zu holen, vermutlich auch, weil ich Angst vor einer Stadionsperre habe. Auch der beste Sitzplatz bietet also nicht nur Vorteile – trotz alledem würde ich meinen Platz niemals tauschen wollen.