Mein Vater hat mich mal gefragt, warum ich bei diesen Blogs nie die ganze Geschichte erzähle. Nebst diversen Erklärungen, die ich gab, schlussfolgerte ich dann noch, dass mir die Leute die ganze und wahre Geschichte wohl kaum abnehmen würden. An dieser Erkenntnis, so musste auch er gestehen, sei wohl wirklich etwas dran. Heute erzähle ich wieder mal eine Anekdote und verspreche aber, alles zu erzählen.
Anno 1990, genau vor 30 Jahren, fand die Eishockey-A-WM in Bern und Freiburg statt. Die A-WM umfasste damals acht Mannschaften und es spielten zahlreiche Stars des Welteishockeys der damaligen Zeit mit: Kamensky, Konstantinow, Makarow, Bure, Fedorow, Kravtchuk, Fetisow, Gusarow und natürlich unsere zukünftigen Helden Bykow und Chomutow (alle Sowjetunion), Jagr, Reichel, Hasek (alle Tschechoslowakei), Nilsson, Sundin, Samuelsson, Loob (alle Schweden), MacInnis, Coffey, Tocchet, Gilmour, Nieuwendyk, Yzerman, Bellows (alle Kanada) – die Liste geht noch viel weiter. Ein wichtiger Grund für dieses Starensemble an dieser WM war, dass die Calgary Flames, Stanley Cup Sieger 1989, im Folgejahr in der 1. Runde der Playoffs an den Los Angeles Kings scheiterten.
Zu dieser Zeit war ich 12 Jahre alt und glaubte langsam aber sicher, Freiburg sei die Welthaupstadt des Eishockeys. Als Bub erlebte ich hier die B-WM 1985, zwei Jahre später wurde ein Teil der kanadischen Fernsehserie «Lance et Compte» in Freiburg gedreht. In der letzten Episode der Saison zwei würde es Sergei Koulikow tatsächlich schaffen, in den «Westen» zu flüchten. Ich erwähne dies jetzt hier mal vorrangig: damals flüchteten Eishockeystars noch aus der Sowjetunion. Und übrigens bin ich heute noch der Überzeugung, dass es wegen dieser Serie westlich der Saane kaum Boston Bruins Fans über 40 gibt. Die einzigen Bruins-Fans die ich kenne, wuchsen östlich von Freiburg auf und kannten die Serie vermutlich damals nicht. Aber das können wir ein andermal besprechen.
Am 2. Mai 1990 fand der letzte Spieltag der Eishockey-WM 1990 statt. Bis und mit 1991 gab es an Eishockey-Weltmeisterschaften keine Playoffs, der Weltmeister wurde in einer Meisterrunde der vier besten Teams ausgespielt. Von diesem «every game counts»-Konzept ist der Welt-Eishockey-Verband IIHF etwas weggekommen, beispielsweise an Olympischen Spielen, wo eine Mannschaft jedes Spiel verlieren und trotzdem ins Achtelfinale einziehen kann.
An der Heim-WM 1990 waren die vier verbliebenen Mannschaften die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Kanada und Schweden. Vor dem letzten Spieltag war klar, dass der Sieger der Partie CCCP – CSSR Weltmeister werden würde. Mein Vater und ich fuhren an diesem besagten Tag nach Bern und wollten spontan noch den letzten Spieltag unserer Heim-WM erleben – ohne Tickets! Als wir vor der Allmend ankamen, begrüsste mein Vater Jeannot Martinet und gab René Fasel die Hand. Die beiden waren zusammen mit Jean Tinguely (der für diese WM auch die wunderbare Affiche kreierte) auf dem Weg in die Eishalle. Sie nahmen uns einfach mit und so gelangten wir spontan mit diesen drei Ikonen unseres Kantons in die Halle. Die Sowjetunion gewann 5:0 und wurde zum 22. und letzten Mal ihrer Geschichte Weltmeister – und unseren beiden zukünftigen Sputkniks hatte massiven Anteil an diesem Erfolg. Nach dem zweiten Spiel Schweden – Kanada begaben wir uns auf dem Heimweg, auf dem wir beobachten konnten, wie die Sowjets in den Car stiegen. Ich rannte mit meinem CCCP #15 Khomutov hin und liess mein Maillot von diversen Spielern unterschreiben. Damit er mir auf dem Rücken unterschreiben konnte, überliess mir Sergei Fedorow für ein paar Sekunden den WM-Pokal. Ich hielt ihn für ein paar Sekunden während er auf Kyrillisch mein Trikot signierte. Man stelle sich das vor, ich war 12 jahre alt und hielt den WM Pokal in den Händen!!! Ich würde dafür töten, um ein Foto davon ausfindig zu machen. Ich habe meine Suche noch nicht aufgegeben. Sergei Fedorov sollte nur ein paar Monate später anlässlich der Goodwill Games in den USA ganz filmreif (ja, wie in Lance et Compte) in den Westen flüchten. Ich erinnere mich nicht mehr, wie das möglich war, aber plötzlich war ich IM Car und arbeitete mich Reihe für Reihe durch und liess mein rotes CCCP-Tackla von der gesamten Sbornaja unterschreiben. Es war meines Wissens nur noch eine andere Person im Reisebus, Zbinden Funsa hatte es auch irgendwie da hinein geschafft. Mit Fünsu sang ich an meiner Hochzeit 28 Jahre später die Lyoba, et quand on y pense, la vie est très bien faite, il suffit de si peu. Bei Chomutow angekommen, zeigte ich ihm das Logo auf meiner Mütze. Aber ich glaube, er hat damals nicht erkannt, dass dies sein neues Team war. Jahre später bekam ich von einem Modedesigner einen WM-Stock von Chomutow.
Ich werde diesen Mittwoch 2. Mai 1990 in Bern nie vergessen. Ich habe alles noch, die WM-Tickets, das Maillot, den Chomutow-Stock – für mich wertvolle Memorabilia, von denen ich mich nie trennen werde. Seit diesem Tag bin auch ein kleiner Autogrammjäger geworden. Ich fühle manchmal wie Viktor Navorski, der im Film Terminal in die USA reist, um die Unterschrift des Jazzmusikers Benny Golson zu bekommen. Sein Vater hatte das Bild «A Great Day in Harlem» in einer Zeitschrift gefunden und zeitlebens versucht, alle Unterschriften zu ergattern. Benny Golson war die 57. und letzte. Ich habe seither ganz viele Grössen des sowjetischen Eishockeys getroffen und so ebenfalls eine beeindruckende Sammlung an Autogrammen alter Koryphäen der legendären Sbornaja zusammengetragen. An der WM 2009 traf ich Tretiak, in Luzern machte ich ein Foto mit Mikhailow und Larionow, Tichonow und Jursinow in Freiburg, Myshkin in Moskau, im Hallenstadion traf ich Kamensky und und und. Aber vielleicht wird das mal eine Anekdote für einen anderen Blog.










