Patrick Fasel, 09.12.2020, Gotteronblog

Patrick allein im St. Léonard



Ein paar Journalisten, drei Schafe, keine Zuschauer: So ein Geisterspiel ist gewöhnungsbedürftig.

Für jemanden wie mich, der Konzerte, Reisen und Eishockey zu seinen grössten Leidenschaften zählt, ist dies wahrlich eine schwierige Zeit. Bei meinen beiden Teams, der Lehrerschaft von Einsiedeln und den VT Ice Cracks, sind Trainings sowie Spiele bis auf Weiteres ausgesetzt. Ich konnte meine nigelnagelneuen Schlittschuhe erst ein einziges Mal in meinem Zürich Happy Place (Dolder Kunsteisbahn) testen, seitdem sah ich kein Eis mehr. Nach den ersten zwei Heimspielen mit Zuschauern hocke ich nun gänzlich auf dem Trockenen. Eine Lösung musste her. Ich bat also die FN mich zu akkreditieren, schliesslich schreibe ich seit 7 Jahren diesen Blog, und wollte mal erleben, wie so ein National-League-Geisterspiel ist, so ganz ohne Zuschauer.

Nun, um 18 Uhr war ich schon vor der Halle: Ein Securitas am Haupteingang, der Fanshop zu, niemand da. Ausser die Drachenhaut der BCF Arena, die hell aufflackerte, wies absolut nichts auf ein Spitzenspiel des Schweizer Eishockeys hin. Beim Presseeingang wird mein Fieber gemessen, mein Name auf der Gästeliste abgehäkelt. Nebenan wärmen sich die Gegner aus Lausanne auf und jonglieren mit einem Fussball – selbstverständlich alle mit Maske. In der Patinoire ist es gespenstisch ruhig, man hört nur die Spieler beider Teams, wie sie sich gegenseitig anfeuern und aufputschen.

Ich bekomme eine Nummer und setze mich in die engen Pressebänke, die für einen Mann stattlicher Statur wie mich schon ein bisschen gar eng sind. Ich nutze aber die Zeit bis zum Spiel um ein paar schöne Fotos der menschenleeren BCF Arena zu machen. Zugelassen ist sonst niemand, ich zähle an die 35 Journalisten ganz oben im Pressesektor sowie ein paar wenige Helfer, die im unteren Ring umhergeistern. Einerseits freue ich mich sehr auf das Spiel, andererseits ist der Anblick der BCF Arena, so nackt, so ruhig, so kalt an diesem dunklen Novemberabend ein ganz trauriger. Da erscheinen selbst Sonntagmorgenspiele um 8.00 Uhr in der Früh mit dem HC St. Antoni in der Patinoire Jean Tinguely wie ein Event, mitsamt den Zuschauern, die entweder auch so früh aufgestanden waren oder es nie ins Bett geschafft hatten.

Zum Spiel: Meine erste Erkenntnis von weit oben lautete: Oh mein Gott ist das langsam! Ich sitze normalerweise in der 3. Reihe, hier, gefühlte 100 Meter vom Eis entfernt, ist alles in Zeitlupe, so zumindest erscheint es mir. Da ist also Eishockey viel beeindruckender von nahem. Es sieht aus, als würden beide Mannschaft mit Standgas spielen. An diesem Abend absolviert Nathy Burgy sein erstes NL-Spiel in Fribourg als Linienschiri. Er war mal mein Schüler an der Sek, und hat mich damals vermutlich nicht so gemocht. In einem Senslercup-Spiel vor Jahren pfiff er mal eine Zweiminuten-Strafe gegen mich, obwohl ich vom Gegner unkorrekt in die Bande gecheckt wurde. Als ich dies mit Erstaunen auch noch zu kommentieren wagte, gab er mir eine Zehnminuten-Strafe obendrauf. Ich, der Gary Lineker des Bezirkshockeys, was für ein Skandal, 12 Strafminuten! Sie sehen, ich habe es bis heute nicht überwunden. Jetzt kann ich mich aber revanchieren. Burgy war Schuld am 0:1 für Lausanne. Er stand beim Spielaufbau im Weg, es gab anschliessend ein unnötiges Bully vor Berra - und Lausanne ging in Führung.

Das Spiel verfolgte ich unterhalb der Radiokommentatoren von RadioFR und Drachenradio. In der Reihe vor mir sassen der Blick (Bruno Hayoz) und der Sportdienst sda (Kurt Ming), links von mir Frank Stettler von den FN. Nebst Hockeytalk reminiszierten wir über alte Zeiten, mit Hayoz über Eric Hasslis Traumtor beim 6:0 von Xamax gegen Servette 2004, mit Ming über Maradonas Traumpass zum 1:0 von Caniggia im Achtelfinal-Spiel der WM 1990 zwischen Argentinien und Brasilien. Wie bereits gesagt, die Ruhe um dieses Eishockeyspiel, immerhin das Topspiel der Woche, war sehr gewöhnungsbedürftig. Laut wurde es nur selten, aber bei den vielen caronesquen Big Saves von Berra klatschten selbst viele Journalisten vor Begeisterung. Was für eine Augenweide unser Mann im Tor doch ist. Und wenn ich mir das so überlege, ist Berra wohl der beste Schweizer Transfer, den Gottéron jemals gemacht hat, und jeden Franken Wert, was für ein Spieler!

Die grosse Aufregung im Pressesektor kam 19 Sekunden vor Schluss: Sprunger gleicht aus, sein zweites Tor heute Abend, er schreibt wieder Heldengeschichten! Die Ernüchterung kam nach minutenlanger Videoanalyse : Kein Tor, keine Verlängerung, Gottéron verliert. Das mochte wiederum der Co-Kommentator vom Drachenradio nicht akzeptieren und die Pressetribüne wurde Zeuge einer der schlimmsten Schimpftiraden jüngerer Zeit, man hörte sie sogar im Fernsehen. Tage später, anlässlich des Cupspiels, entschuldigte sich der Schiri nachträglich bei Sprunger, er meinte, er hätte das Tor geben müssen, Sachen gibts.
Den grössten Lacher an diesem dunklen Samstagabend gabs aber dann noch bei der Preisverleihung: Als das Auto für den best player award aufs Eis fuhr, zog es hinter sich einen Anhänger mit drei Schafen. Einer meinte lakonisch: "Nach den vier Ziegen, die das Spiel leiteten, nun also auch noch drei Schafe."

Rückblickend wars trotzdem eine Freude, ein Spiel meines Klubs zu sehen, aber längerfristig machen solche Abende keinen Spass. Ich vermisste das Singen, das Klatschen, das Schreien, das Reklamieren des Publikums bei Entscheidungen gegen das Heimteam, Szenenapplaus, small talk vor, während und nach dem Spiel, die Spielanalysen draussen im vierten Drittel, mein Vater zu meiner Linken und meine Frau rechts von mir, eigentlich all die Sachen, die so ein Sportevent eben auch ausmachen. Ja, meine Entzugserscheinungen in Sachen Droge Eishockey wurden zwar etwas gestillt, aber gottweiss, wann ich das nächste Mal wieder einem Eishockeymatch beiwohnen darf. Bleibt alle gesund, allez Gottéron!