Patrick Fasel, 30.11.2018, Gotteronblog, Freiburger Nachrichten

Traumtänzer zu Gast



Im Rahmen der KHL World Games fanden diese Woche zwei Spiele der grossrussischen Eishockeyliga in meinem zweiten Heimstadion statt. Dinamo Riga, SKA St. Petersburg und ZSKA Moskau versuchten sich in eine Art Charmoffensive, was ihnen auf dem Eis im Hallenstadion durchaus auch gelang. Auch gewisse Aspekte des Rahmenprogramms gefielen. Vor dem Spiel wurden jeweils die lettische und russische Nationalhymne von Opernsänger gesungen und ein Geigenspieler spielte Queen-Hymnen in klassischer Form.

Verschiedenste Persönlichkeiten aus unserer Hockeywelt waren zugegen und hielten Reden: René Fasel begrüsste die KHL im Namen der Schweiz, während Wladimir Jursinow, Waleri Kamenski und Patrick Fischer symbolisch den Puck einwarfen. Der russische Botschafter Sergei Garmonin lobte die Leidenschaft der Schweizer fürs Eishockey, und stellte fest, die Schweiz qualifiziere sich mittlerweile regelmässig für die Europa- und Weltmeisterschaften und outete sich gleichzeitig als richtige Hockeynulpe… Europameisterschaftsmedaillen werden seit 1991 nicht mehr vergeben. Die Schweiz wurde übrigens viermal Europameister (letztmals 1950).

Du beau monde auf und neben dem Eis in Zürich, nicht weniger als 18 Spieler von SKA St. Petersburg und ZSKA Moskau gewannen im Frühjahr Gold mit der Sbornaja in Südkorea. Grosser Star und Aushängeschild des Doppelanlasses war Pawel Datsyuk, mit 40 immer noch eine Perle zum Zuschauen. In Pyeongchang gewann auch er Eishockeygold und ist nun das neueste Mitglied des sehr illustren Triple Gold Clubs (Spieler, die Olympia- und WM-Gold sowie den Stanley Cup gewonnen haben). Dass er aber noch nicht zum alten Eisen gehört wurde schon früh im Spiel ersichtlich, als er selbst bei einem 3 gegen 5 Boxplay aufs Eis geschickt wurde. Sein 2-1 Führungstreffer war denn auch das Game Winning Goal für SKA St. Petersburg im ersten Spiel.

Die Zuschauer waren merklich heiss auf diesen Leckerbissen und wurden nicht enttäuscht. Russisches Eishockey, da sind die Erwartungen hoch. Und bei genauerem Hinschauen kristallisierte sich heraus, warum bei Russen auf Kufen bis heute viele Herzen höherschlagen. Schon das Einwärmen der Teams gleicht einer Tanzchoreographie, die Spieler kurven in Reih und Glied und an einem Strang bei Laufübungen und Schiessübungen. Statt Wolfmother, Guns n’ Roses und den Pixies hätte auch problemlos Tchaikowsky laufen können. Mühelos mit dem Puck jonglieren können die meisten Stürmer, die Verteidiger sind kaum aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Während dem Spiel macht Durex Werbung und unterstützt «Russia’s next hockey generation». Auf meinen Einwand hin, Durex verhindere doch genau den, konterte meine Frau, Durex würden nicht nur Kondome herstellen, sondern durchaus auch Artikel produzieren, die Pro-Nachwuchs seien. In den bei uns als commercial breaks bekannten kleinen Pausen während den Dritteln kommen leicht bekleidete Eisgirls aufs Eis und räumen den bisschen Schnee weg. Die Spieler auf der Bank und die Fans schauen hin, nur die Goalies tun so als wäre nichts. «Goalies are a different breed», halt. Die Eisputzfräuleins kamen mir vor wie Matrjoschkas, die bei jedem neuen Ausschlüpfen anders aussehen, denn alle siebeneinhalb Minuten wurde das Dress gewechselt.

Die Traumtänzer spielten nicht nur fürs russische Eishockey, sondern auch fürs Publikum, denn Eishockey ist in Russland eine Kunstform. Ich sah an diesen zwei Spielen einige Sachen, die man im St. Léonard eigentlich sonst nur an Abenden erlebt, wenn Sprunger lustig drauf ist. Das Grundtempo ist schon mal höher als auf Schweizer Eishockeyfeldern, Pucks aus der Luft werden meist mit dem Stock runtergeholt und sogar im Lauf angenommen und gleichzeitig vorgelegt. Fusspässe gehören ebenso zum Repertoire eines gestandenen KHL-Spielers wie Annahmen des Pucks in vollem Lauf mit dem Schlittschuh, und Verteidiger sind zum Teil so eiskalt, dass sie den Gegner selbst als letzten Mann an der gegnerischen Blauen ausdribbeln – sehr frech. In zwei Spielen versuchten zwei verschiedene Spieler einen Schuss durch die eigenen Beine abzugeben (der erste ging nur knapp drüber, der zweite mutierte zur Vorlage). Den Banden entlang und in den Ecken wissen die Spieler viel besser wie man sich positionieren und bewegen soll. Es kommt daher nicht zu weniger harten Aufeinandertreffen, aber sowohl der Angreifende wie auch der Verteidigende bleiben auf den Beinen, da wird sauberer gearbeitet. Ich wäre fast gewillt zu sagen, dass das Ganze professioneller aussieht. Oder wie oft sieht man in der Schweiz schon nur einen ritterlichen kneel-down Direktschuss? Da waren es zwei pro Drittel… Auch wird nicht endlos mit den Schiris diskutiert, auf russischen Eisfeldern hat man schon gemerkt, dass der Schiri sich nicht umstimmen lässt. In den Achtzigern schockten die Sowjets die NHL-Teams mit Angriffen der zweiten Welle, SKA und ZSKA zeigten gegen die Letten nun wie sie Angriffe mit der dritten Welle starten, was selbst die vielen Hockeygourmets unter den Zuschauern zum Zungenschnalzen brachten. Querpässe hingegen werden wie schon seit Ewigkeiten zelebriert, leider so oft, dass es fast zur Krankheit wird, und manch einmal ein Abschluss fast besser gewesen wäre. Aber eben, das Auge spielt mit.

Sportlich gehörten die zwei Spiele zum Feinsten was ich ausserhalb von Weltmeisterschaften und Olympiaden je gesehen habe. Nach einem Foto mit dem Gagarin Cup traf ich noch Waleri Kamenski, der erste Russe im Triple Gold Club, und mühte mich ab, Small Talk auf Russisch mit ihm zu machen. Auf meine Bitte hin, er möge doch bitte mein Khomutov ZSKA Leibchen signieren, fragte er ob ich aus Fribourg sei, was ich bejahte. «Then you are my friend». Im Gegensatz zu vielen Kritikern schweizweit kann für mich die KHL auch in den nächsten Jahren wieder einen Stopp bei uns machen, denn als Hockeyliebhaber bleiben die Russen mit den Kanadiern weiterhin das Mass aller Dinge.